Ein französisch-deutscher Dialog zwischen Louis Savoldi und Stefan Müller
MÜLLER: Herr Savoldi, Ich freue mich, dass Sie mich nun für einige Zeit begleiten. Aber zuerst bin ich neugierig: Erzählen Sie mir ein wenig über sich und Ihre Motivation für dieses Praktikum.
SAVOLDI: Mein Name ist Louis SAVOLDI, ich bin 20 Jahre alt und komme aus Frankreich, genauer gesagt aus Reims in der Champagne. Ich studiere an der Sciences Po Paris (insbesondere am deutsch-französischen Europacampus in Nancy) und engagiere mich politisch bei "Les Républicains" (das Äquivalent zur CSU in Frankreich) und bei François-Xavier Bellamy, dem Vorsitzenden der französischen EVP-Gruppe.
Die deutsch-französische Zusammenarbeit war mir schon immer sehr wichtig, deshalb habe ich in der Oberstufe eine „ABIBAC“-Sektion gemacht und damit gleichzeitig das bayerische Abitur und das französische Baccalauréat abgelegt.
Ich sehe dieses Praktikum vor allem als eine Gelegenheit, mein Verständnis für die deutschen Institutionen und das politische Leben zu vertiefen, um unsere Zusammenarbeit, insbesondere innerhalb der Europäischen Union, zu stärken. Freundschaft beginnt mit dem gegenseitigen Kennenlernen!
Die ökologischen, wirtschaftlichen, gesundheitlichen und anderen Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, sind gemeinsame Herausforderungen. Nur wenn wir lernen, zusammenzuarbeiten, wird es unseren beiden Ländern, den treibenden Kräften der EU und ganz allgemein des Westens, gelingen, ihnen zu begegnen. Deshalb ist das Lernen, zusammenzuarbeiten, meiner Ansicht nach ebenfalls von grundlegender Bedeutung.
Ich bin auch ein engagierter Konservativer in Frankreich, daher glaube ich, dass wir gemeinsame Werte zu verteidigen haben. Unsere europäische Zivilisation, ein wertvolles Erbe, das auf jüdisch-christliche, griechische und römische Einflüsse zurückgeht, ist uns allen gemeinsam. Gemeinsam schaffen wir die Voraussetzungen für seine Weitergabe an künftige Generationen. Als Konservative wissen wir jedoch, dass dieses Erbe zerbrechlich ist und dass die Verwurzelung die notwendige Voraussetzung für das Leben unserer Kulturen ist. Die CSU führt diesen Kampf für die Verteidigung unserer Traditionen und unserer Zivilisation mit Stolz wie keine andere Partei in Europa. Es ist etwas, das die französischen Konservativen anerkennen und bewundern. Deshalb wollte ich in meinem bescheidenen Umfang daran teilnehmen.
MÜLLER: Abgesehen von den formalen Unterschieden: Was unterscheidet die Politik in Deutschland und Frankreich heute aus Ihrer Perspektive als junger Bürger?
SAVOLDI: Ich glaube es sind drei Aspekte: Repräsentativität, die Kultur der Verhandlung und des Konsenses und das Konzept der Nation.
Repräsentativität: Ich bin natürlich ein selbstbewusster Konservativer, aber die Arbeit in Ihrem Parlament erlaubt es mir, eine Fülle von Standpunkten zu beobachten (obwohl ich mit vielen von ihnen nicht einverstanden bin, insbesondere mit der Linken und der AFD). Ich glaube, dass das Verhältniswahlrecht bei Ihren Wahlen allen Sensibilitäten Ihres Landes Ausdruck verleiht, und meiner Meinung nach ist es ein Zeichen der Vitalität einer Demokratie, die uns in Frankreich fehlt.
Die Kultur der Verhandlung und des Konsenses: Sie ist sowohl auf der Ebene der Gewerkschaften als auch in jedem Ausschuss des Parlaments zu beobachten. Ihr politisches Leben dreht sich um die Idee, sich darauf zu einigen, gemeinsam regieren zu können. Unser französisches politisches Leben ist wahrscheinlich konfliktreicher und begünstigt nicht die Entstehung von parteiübergreifenden Diskussionen. Dies hat seinen Ursprung sowohl in unserer politischen Kultur als auch in der präsidialen Organisation unseres Systems.
Das Konzept der Nation: Die Nation ist ein sehr wichtiges politisches Konzept in unserem Land. Sie ist die grundlegende Einheit unserer Demokratie und Ausdruck der Seele unseres Landes. Von bestimmten Ausnahmen abgesehen, fühlt sich ein Bürger zuerst als Franzose, bevor er sich als Burgunder, Limousin oder Champenois etc. fühlt. Die Nation ist der privilegierte Ort, an dem wir Wurzeln schlagen. Die deutsche Geschichte hat es für Sie anders gemacht. Ihre Wurzeln sind eher lokal. Der Beweis dafür ist der Begriff "Heimat", ein Wort, das nicht ins Französische übersetzt werden kann. Es gibt kein Äquivalent, obwohl es nicht an Versuchen mangelt, ein solches zu finden.
SAVOLDI: Welche Rolle sollte der "Nationalstaat" in der Globalisierung spielen? In welche Richtung sollte sich die Europäische Union Ihrer Meinung nach entwickeln?
MÜLLER: Nach dem Zweiten Weltkrieg träumten viele, auch bürgerlich geprägte junge Menschen in Deutschland von einem vereinten Europa, das irgendwann zu Vereinigten Staaten von Europa werden könnte. Außerhalb Deutschlands fragte man sich eher, wie man dieses große Land in der Mitte Europas friedlich im Zaum halten kann. Die nationale Verwurzelung ist in Deutschland nach der Katastrophe des Dritten Reiches bei der großen Mehrheit eher eine kulturelle, als eine politische. In Frankreich hat die Nation einen völlig anderen Stellenwert, Sie haben es selbst beschrieben. Diese unterschiedlichen Ausgangslagen sollte man nicht unterschätzen. Im Gegenteil: Wir sollten die kulturelle Vielfalt Europas als Schatz begreifen, den es zu bewahren gilt. Die Nationalstaaten in all Ihrer Unterschiedlichkeit sind deshalb in meinen Augen für den Erfolg Europas ebenso grundlegend, wie der unbedingte Wille, europäisch eng zu kooperieren. Deshalb glaube ich, dass unsere Zukunft nicht in möglichst umfassender, innereuropäischer Vereinheitlichung liegt, sondern in der engst möglichen Kooperation zur Wahrung unserer gemeinsamen Interessen nach außen.
SAVOLDI: Was haben wir aus Ihrer Sicht zu gewinnen, wenn wir die deutsch-französische Zusammenarbeit stärken? Inwiefern ist die Einbeziehung junger Menschen wesentlich? Haben Sie konkrete Möglichkeiten, wie diese Zusammenarbeit vertieft werden könnte?
MÜLLER: Wenn wir uns unsere gemeinsame, manchmal leider sehr blutige Geschichte anschauen, sehen wir doch eine unglaubliche Entwicklung zum Positiven. Diese positive Entwicklung gab es nur, weil Menschen aller Generationen sich Schritt für Schritt von alten Feindschaften verabschiedet und neue Wege eröffnet haben. Entscheidend ist aber, dass jeweils die junge Generation diese Wege auch beschritten hat. Sei es ganz profan durch Reisen ins andere Land, durch persönliche Kontakte in Partnerstädte oder viel intensiver durch Bildungsaustausch. Sie selbst sind ja ein wunderbares Beispiel dafür.
MÜLLER: Welche Bedeutung hat für Sie persönlich die intensive Kooperation unserer Länder in der EU?
SAVOLDI: Für mich ist diese Zusammenarbeit etwas sehr Persönliches, das mein Leben schon tief geprägt hat, obwohl ich noch ziemlich jung bin.
Dazu gehört vor allem, dass ich dank des Elysée-Vertrags, der ein Grundstein für die Freundschaft zwischen unseren beiden Völkern und damit für Europa ist, seit fast 9 Jahren Deutsch lernen kann. Karl der Große ist eine historische Figur, die unsere beiden Länder verbindet. Er soll einmal gesagt haben: "Eine andere Sprache zu haben, bedeutet, eine zweite Seele zu besitzen".
Dank der Zusammenarbeit zwischen Frankreich und dem Freistaat Bayern konnte ich dann am Gymnasium in einer ABIBAC-Klasse studieren und so mein französisches Baccalauréat und mein bayerisches Abitur ablegen. Mein bayerisches Abitur war es übrigens, das mir den Zugang zu meiner jetzigen Universität ermöglichte (nicht mein französisches Baccalauréat!).
Jetzt studiere ich am deutsch-französischen Europacampus in Nancy, wo fast die Hälfte der Studierenden Deutsche sind. Die Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern steht dort im Mittelpunkt der Lehre und unseres persönlichen Anliegens. Wir alle sind uns als junge Franzosen und Deutsche bewusst, dass es uns nur durch die weitere Stärkung unserer Freundschaft und Zusammenarbeit gelingen wird, gemeinsam in der Globalisierung stark zu sein.
SAVOLDI: Inwieweit glauben Sie, dass eine konservative Vision heute in Europa ihren Platz hat? Wie kann sie insbesondere für junge Menschen attraktiv sein?
MÜLLER: Franz Josef Strauß hat einmal gesagt, konservativ zu sein heißt an der Spitze des Fortschritts zu marschieren. In diesem Sinn verstehe ich eine konservative Grundhaltung als die bestmögliche Art, sich der Zukunft zu stellen und sie zu gestalten. Das heißt nämlich: Auf Bewährtem aufbauen, Bestehendes weiterentwickeln und Neues beherzt in unser Leben integrieren. Ich glaube nicht, dass die junge Generation insgesamt auf Dauer den politischen und wirtschaftlichen Rückwärtsgang einlegen will, obwohl man angesichts mancher aktueller Maximalforderungen diesen Eindruck gewinnen könnte.
SAVOLDI: Der Durchbruch der Umweltparteien in unseren Demokratien scheint sich auf europäischer Ebene zu vollziehen, was steckt Ihrer Meinung nach dahinter? Welche ökologische Vision kann das konservative Lager angesichts der Realität des Klimawandels tragen?
MÜLLER: Unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren ist ein zutiefst bürgerlich-konservatives Anliegen. Aber wir haben das Thema zu lange buchstäblich links liegen lassen, weil diejenigen, die es in den 1980er Jahren zu ihrer Sache machten, es mit einem ausgeprägt linksrevolutionären Impetus verbunden haben. Ich finde, diese Verbindung ist nicht zwingend. Bei den grünen Funktionären sind heute zwar nach wie vor viele linke Ideologen am Werk, die eine grundsätzlich andere Gesellschaft wollen. Wenn Sie sich aber die Wählerschaft der Grünen heute genauer anschauen, sehen Sie einen urbanen, hochgradig bürgerlichen Lebensstil, hohe formale Bildung und großen Wohlstand. All das wollen sie auch für ihre Kinder bewahren, sehen es aber durch Klimawandel und Umweltsünden bedroht. Als bürgerlich-konservative Parteien müssen wir es hinbekommen, für diese Menschen wieder interessant und wählbar zu werden, indem wir gemeinsam mit Landwirtschaft und Industrie gute Lösungen für die Zukunft entwickeln. Die Zukunft kann doch nicht darin bestehen, dass wir in Europa aus Klimaschutzmotiven Technik verteufeln und uns zum Schaden unserer Wirtschaft ins eigene Schneckenhaus zurückziehen, während China, Indien und bislang auch die USA sich defacto um den Klimawandel nicht kümmern. Unser Ansatz muss es sein, globale Probleme auch global anzupacken und dafür Allianzen zu schmieden.
SAVOLDI: Die nächste deutsche Bundestagswahl wird in Frankreich besonders beobachtet. Unsere politischen Systeme sind ziemlich unterschiedlich, was sind Ihrer Meinung nach die Stärken der deutschen Demokratie? Wie können sich junge Deutsche ganz konkret an diesem demokratischen Leben beteiligen?
MÜLLER: Es gibt in Deutschland so viele Möglichkeiten für junge Menschen, sich gesellschaftlich und politisch zu engagieren und damit auch etwas zu bewirken, wie nie zuvor. Ich selbst habe in der Jungen Union und in der Kommunalpolitik begonnen. Und es gibt auch heute viele beeindruckende junge Menschen, die sich auf einen politischen Weg machen. Das kann ich nur unterstützen.
Was ich aber beobachte, und was mich sehr beunruhigt, ist die Ablehnung des Kompromisses als demokratisches Prinzip und damit einhergehend eine zunehmende Abneigung mancher junger Menschen gegenüber unseren Institutionen, insbesondere gegenüber den Parteien. Das liegt auch daran, dass Demokratie, insbesondere eine ausgeprägt parlamentarische Demokratie wie bei uns in Deutschland, manchmal sehr langsam ist. Wir müssen in unseren Entscheidungsprozessen schneller werden, und einmal Entschiedenes dann auch umsetzen. Dass zum Beispiel manche öffentlichen Bauprojekte 20 Jahre und länger bis zur Realisierung brauchen, ist nicht nur für junge Menschen nicht nachvollziehbar.
SAVOLDI: Die Gelegenheit, Sie bei Ihrer Arbeit zu begleiten, ist ein Höhepunkt meines bisherigen Studienwegs und meines politischen Engagements. Es ist von großer Bedeutung für mein Engagement für die deutsch-französische Zusammenarbeit und für die Verteidigung der konservativen Werte in Europa. Ich möchte Ihnen noch einmal danken, dass das möglich war.
MÜLLER: Sehr gerne. Vielen Dank für Ihr Engagement!